St. John’s P0int
Irland
Wir waren den ganzen Tag auf den bis zu 600 Meter hohen Klippen von Slieve League an der Atlantikküste im Nordwesten von Irland unterwegs. Ein sonniger Tag mit klarer Sicht weit über den Atlantik und die Bucht von Donegal sowie den schmalen Fjord vor der Mündung des Glen Rivers auf der Rückseite der Klippen. Trotz der Sonne war der Wind kalt und böig, es war Ende Oktober und der Wind kam ungebremst über den ganzen Nordatlantik.
Schon leicht durchgefroren machten wir uns am späten Nachmittag auf den Rückweg zu unserem Cottage in Belleek, einem kleinen Ort direkt auf der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Aber ein Highlight (im wahrsten Sinne des Wortes) stand an unserem letzten Tag in Donegal noch auf dem Programm, der Leuchtturm am St. John’s Point. Wir fuhren die gewundene Küstenstraße R263 nach Killybegs, einem der wichtigsten Fischereihäfen Irlands. Killybegs liegt an einer fjordartigen schmalen Bucht, die durch die kleine Halbinsel Carntullagh Head von der McSwynes Bay getrennt wird. Am Ende dieser Halbinsel markiert ein kleiner Leuchtturm die Hafenzufahrt.
Ein paar Kilometer weiter östlich, südlich der Ortschaft Dankineely, schiebt sich eine weitere sehr schmale aber 10 Kilometer lange Halbinsel ins Meer und trennt die McSwynes Bay von der Donegal Bay. Und am Ende dieser Halbinsel, die sich wie ein warnender Zeigefinger nach Südwesten der anrollenden Brandung entgegenstellt, liegt der Leuchtturm von St. John’s Point. Wir fuhren die enge Straße am Rande der McSwynes Bay entlang, vorbei an kleinen Cottages von denen einige unbewohnt und zum Teil schon im Zerfall begriffen waren. Aber die Abenddämmerung tauchte alles in ein warmes weiches Licht. Dann machte die Straße einen Schwenk nach Norden und führte uns an einen kleinen Strand am gegenüberliegenden Ufer der Halbinsel, die hier nur wenige 100 Meter breit ist. Am Ende des Strandes mündete die Straße in ein offenes Tor in einem Zaum, der scheinbar die letzten Kilometer der Halbinsel absperrte. Ein Schild wies darauf hin, dass dies Privatgrund sei und Unbefugte keinen Zutritt hätten. Waren wir auf dem richtigen Weg?
Unsere Karte zeigte keine andere Straße, keinen Weg und keinen Pfad an, der noch zum Leuchtturm führen könnte. Am Rande des kleinen Strandes stand auf einem Parkstreifen ein Wohnmobil mit irischem Kennzeichen. Ein Mann im Trainingsanzug saß hinter dem Steuer und las die Zeitung. Ich klopfte an die Tür und fragte, wie ich zum Leuchtturm käme. „You are right, just go ahead, it’s the only way, don’t worry about the sign“. Also los. Ratternd fuhren wir über das Viehgitter der Tordurchfahrt, das hier die Schafe und Rinder zurückhalten soll. Die einspurige Straße schlängelte sich weiter durch die hügelige Landschaft, aber es war noch kein Leuchtturm zu sehen. Der Wind nahm weiter zu und Wolkenfetzen zogen über den abendlichen Himmel, die Sonne stand schon dicht über dem Horizont.
Als wir über den Kamm des nächsten Hügels fuhren, zeichnete sich die Laterne des Leuchtfeuers scharf gegen den Abendhimmel ab. Ein paar hundert Meter weiter parkten wir den Wagen und stiegen aus. Gegen den scharfen Wind gebeugt gingen wir zum Leuchtturmgehöft, das von einer weitläufigen Mauer umgeben war, die auch mehrere Nebengebäude mit einschloss. Bis zur flachen Steilküste waren es noch etwa 100 Meter Grasland, auf dem ein paar Kühe weideten. An der südöstlichen Abbruchkante gab es einen kleinen Schiffsanleger, zu dem eine steile Treppe hinunter führte. Außer uns und den Kühen waren nur drei, vier Spaziergänger mit ihren Hunden zu sehen. Trotz der Mützen über den Ohren und den Händen tief in den Taschen wurde uns bald kalt. Das war nicht nur der kalte Wind, sondern auch die Müdigkeit nach einem langen Tag an der frischen Luft. Aber wir wollten das Feuer sehen und hofften, dass es um 19 Uhr eingeschaltet würde, es wurde ja auch zusehends dunkler.
Aber um 19 Uhr passierte nichts. Enttäuscht stiegen wir ins Auto. Bis zum Einschalten des Feuers konnte es ja nicht mehr lange dauern, aber uns war zu kalt um länger zu warten und wir hatten noch eine gute Strecke zu fahren. Wir wollten jetzt in den Pub von Belleek, etwas Warmes zu essen und dann die restlichen Kilometer zu unserem Cottage fahren und den Ofen anschmeißen. Am Ende der Halbinsel stieg das Terrain an und von der höher liegenden Küstenstraße konnten wir im letzten Abendlicht die ganze Bucht überblicken. Es war kurz vor halb acht – und dann sahen wir plötzlich die Feuer der beiden Türme.
Das kleine Feuer bei Carntullagh Head und das hellere Feuer am St. John’s Point mit der Kennung Blitz, weiß, 6 Sekunden. Mit einem breiten Grinsen strahlten wir uns an, wir hatten das Feuer gesehen!
Oktober 2018
Fotos: © H. Klein