Nach dem Tsunami
Sri Lanka, April und November 2005
Sri Lanka ist mir als Reiseziel nie in den Sinn gekommen, ich bevorzuge die nordischen Länder mit ihren rauen Küsten und Bergen. Die Hitze des Südens dagegen macht mir oft zu schaffen. Aber es war auch keine Urlaubsreise die mich nach Sri Lanka brachte, sondern die Folge einer fürchterlichen Naturkatastrophe, die verheerende Folgen für die Bevölkerung der Küsten des Indischen Ozeans zur Folge hatte.
Am 26.12.2004, dem 2. Weihnachtstag, fand um 00:58 mitteleuropäischer Zeit ein schweres unterseeisches sogenanntes Beben der Stärke 9.1 statt, dessen Epizentrum etwa 85 km nordwestlich vor Sumatra lag. Es löste eine Anzahl von Tsunamis aus, durch die circa 230.000 Menschen ihr Leben verloren. Über 110.000 Menschen wurden verletzt, schätzungsweise 1,7 Millionen Menschen an den Küsten des Indischen Ozeans wurden obdachlos. In Sri Lanka gab es über 35.000 bestätigte Tote, Schätzungen gehen jedoch von einer Gesamtzahl von knapp 39.000 Opfern aus, da viele Opfer ins Meer gerissen wurden.
Ich arbeitete zu dieser Zeit als Ozeanograph am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das bereits in früheren Jahren eine Kooperation mit der entsprechenden Meeresbehörde in Sri Lanka, der National Aquatic Resources Research and Development Agency (NARA) hatte. Im Rahmen der Tsunamihilfe der Bundesrepublik hatte das BSH die NARA mit Hilfslieferungen unterstützt, um sie im Bereich der Seevermessung und des marinen Umweltmonitorings wieder arbeitsfähig zu machen. Gerade nach diesem schweren Tsunami war eine hydrographische Neuvermessung der Küstengewässer Sri Lankas von großer Dringlichkeit. Das ozeanographische Vermessungsschiff der NARA, die Sayuri, war im Tsunami gekentert und mit seiner gesamten wissenschaftlichen Ausrüstung gesunken. Im Rahmen dieser Tsunamihilfe fanden die beiden Reisen im April und November statt.
Ziel meiner ersten Reise im April war die Begutachtung der Schäden in der meereskundlichen Abteilung der NARA. Zusammen mit den Ozeanographen vor Ort sollte ich eine Liste der am dringendsten benötigten Geräte aufzustellen. Ferner sollte die Errichtung und Inbetriebnahme von zwei GPS-gestützten Radarpegeln geplant und vorbereitet werden, die in das geplante Frühwarnsystem für den Indischen Ozean integriert werden sollten.
Diese Tagebuchaufzeichnungen sind kein offizieller Bericht und behandelt die dort durchgeführten Arbeiten nur am Rande. Es sind mein meine persönlichen Beobachtungen und Eindrücke in Sri Lanka, die ich auf beiden Reisen notiert hatte und die mich noch lange danach beschäftigt haben.
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Erste Reise, April 2005
Samstag, 23. April, Doha Airport, Katar
Nach sechs Stunden Flug ab Frankfurt gegen 19 Uhr Ortszeit in Doha gelandet. Anflug schon in völliger Dunkelheit, vom Flugzeug aus konnte ich breite, hell erleuchtete und völlig leere Straßen sehen, die sich endlos durch die Wüste zogen. Ich verabschiede mich von meinem Sitznachbarn, einem jordanischen Herz-Chirurgen, der in Prag lebte und sehr gut deutsch sprach. Beim Aussteigen 29°C, eine dicke schwere Luft, die man als etwas Substantielles wahrnimmt. Müde vom Flug, dazu dieses eigenartige Gefühl, wenn man plötzlich in eine fremde Kultur und in ein anderes Klima fällt. Bis zum Weiterflug nach Colombo kurz vor Mitternacht habe ich noch ein paar Stunden Zeit und versuche in der Lounge ein wenig zu schlafen.
Sonntag, 24. April, Colombo, Sri Lanka
Nach vier Stunden Flug Ankunft in Colombo morgens um 7 Uhr Ortszeit. Fast den ganzen Flug über geschlafen, aber sehr unruhig. Über dem Indischen Ozean und dem Festland gewaltige Wolkentürme. Der von der Deutschen Botschaft bestellte Fahrer ist nicht am Flugplatz, aber ein anderer Mitarbeiter von Walker-Tours organisiert zügig einen Transport zum Ceylon Continental Hotel, das gegenüber dem alten Parlamentsgebäude direkt am Meer liegt. Ich wäre lieber in einem kleineren, nicht so noblen Hotel abgestiegen, aber dieses wurde von der Deutschen Botschaft in Colombo gebucht. Nach dem Einchecken lege ich mich erstmal eine Weile aufs Bett und genieße die kühle Luft der Klimaanlage, dann verlasse ich das Hotel und versuche mich langsam zu akklimatisieren.
Ich laufe etwas an der Küste entlang, mache dann eine kleine Stadtrundfahrt mit einer dreirädrigen Autorikscha, dem sogenannten Tuc Tuc. Am Nachmittag zurück zum Hotel. Ich habe mich etwas an die warme feuchte Luft gewöhnt, aber gegen Abend steigt die Luftfeuchtigkeit auf 90% und ein heißer Nebel weht vom Meer herein. Kommt man aus dem klimatisierten Hotel hat man im ersten Augenblick das Gefühl, die Luft würde einem die Lungen verstopfen. Und es überrascht mich immer wieder, wie schnell es in Äquatornähe fast schlagartig dunkel wird .
Montag, 25. April
Beim Frühstück sitze ich am Fenster mit Blick auf den Pool. Dort trifft sich eine Hochzeitsgesellschaft und nimmt Aufstellung für den Fotografen. Die Braut mit ihren Brautjungfern in weißen Saris, der Bräutigam westlich gekleidet im dunklen Anzug. Nach dem Frühstück holt mich ein Fahrer der NARA ab und bringt mich zum Hauptgebäude der NARA auf Crow Island, einem Stadtteil im Norden Colombos. Während der Fahrt der krasse Kontrast zu der morgendlichen Szene im Hotel. Zwischen den kleinen meist einstöckigen Häusern der Vororte und den Müllhaufen an der Straße sind junge Mädchen in Schuluniform mit weißen Röcken und Krawatte stolz auf dem Weg zur Schule.
Bei Ankunft auf dem NARA-Gelände treffe ich meinen srilankischen Kollegen W. und seinen „Research Assistant“ P. Mit W., ebenfalls ein Ozeanograph, hatte ich schon seit Wochen einen regen Emailaustausch, jetzt stehen wir uns zum ersten Mal persönlich gegenüber. Ich werde sehr herzlich aufgenommen und wir merken schnell, dass wir uns gut verstehen werden. Wir sitzen eine Weile zusammen und besprechen erste Dinge, dann Besuch beim Chef der NARA und seinen Mitarbeitern. Viele neue Gesichter und Namen, die ich mir kaum merken kann. Die wichtigsten Namen lasse ich mir hinterher von W. aufschreiben. Auch das Englisch der Singalesen und Tamilen ist sehr individuell geprägt und anfangs schwer verständlich für mich.
Die NARA besteht aus einem großen Komplex mit zum Teil zweistöckigen Steingebäuden, die in einem parkähnlichen, etwas verwahrlos wirkenden Gelände verteilt liegen. Neben halb demontierten Autos stehen große Walskelette auf Metallgestellen. Es gibt dort auch ein Museum und diverse Schulungsgebäude.
Wir verbringen den Tag mit einer Bestandsaufnahme der am dringendsten benötigten Dinge. Auch Colombo blieb nicht völlig verschont von dem Tsunami, in einigen NARA-Gebäuden wurden die Erdgeschosse geflutet und fast alle Rechner und Teile der Gerätschaften und Laboreinrichtungen sind jetzt unbrauchbar. Wir beschließen, am nächsten Tag die südliche Küste abzufahren, um einen geeigneten Platz für den südlichen Radarpegel zu suchen. Der zweite Pegel soll im Nordosten Sri Lankas, in der Bucht von Trincomalee installiert werden. Die Pegel sollen auf möglichst festem Untergrund errichtet werden, da sie dort geringen Vertikalbewegungen des Untergrundes ausgesetzt sind. Gegen Abend bringt mich der Fahrer wieder zurück ins Hotel.
Dienstag, 26. April
Fünf Uhr aufstehen. Vor dem Fenster rauscht der Regen, dazu Blitz und Donner. Um 6 Uhr holt mich W. in einem Nissan Geländewagen samt Fahrer ab. Wir verlassen Colombo über die Galle-Road und fahren dann auf der A2 in Richtung Süden. Nach ein paar Kilometern sammeln wir P. ein, der hier in einem kleinen Vorort wohnt. Inzwischen hat der Regen aufgehört und langsam kommt die Sonne durch. Etwa 20 km südlich von Colombo werden die Auswirkungen des Tsunamis sichtbar. Zerstörte Häuser, notdürftig errichtete Holzbuden und Zelte als Notquartiere. Je weiter wir nach Süden kommen, desto schlimmer sind die Zerstörungen. Die A2 führt bis kurz vor Kirinda immer dicht an der Küste entlang, parallel zu der Eisenbahntrasse zwischen Colombo und Matara.
Etwa 10 km nördlich von Galle halten wir in Peraliya. Rechts der Straße der Strand, links der Straße ein mit Palmen bewachsener Grünstreifen, dahinter die Bahngleise. Zwischen den Bäumen die Betonfundamente der Häuser auf denen die Familien, meist Fischer, mit Planen oder kleinen Zelten ein Notquartier errichtet haben. In Peraliya hatte der Tsunami einen überfüllten Zug erfasst und von den Gleisen gerissen. Die Wagen verformt, die Schienen verbogen wie ein Stück Draht. Man schätzt, dass dabei bis zu 1.700 Menschen starben. Inzwischen sind Gleise ersetzt worden und wir sehen, wie die letzten vier Wagons geborgen werden. Sie sollen für ein Mahnmal genutzt werden. Auch die vielen zerstörten Brücken über die ins Meer mündenden Flüsse sind weitgehend durch Behelfsbrücken ersetzt worden.
Nachdem wir uns kurz die Beine vertreten haben fahren wir weiter nach Galle und halten auf einem großen Platz direkt am Meer. Der Platz liegt im grellen Sonnenlicht. P. bleibt mitten auf dem Platz stehen, völlig erstarrt und mit leerem Blick. Als W. das bemerkt erzählt er mir, dass P. am Morgen des Tages nach dem Tsunami hier auf diesem Platz war. Der gesamte Platz war mit Toten übersät, da hier zeitgleich mit dem Auftreffen des Tsunamis ein großes religiöses Fest stattgefunden hatte.
Wir folgen weiter der Küste. Zeitweise ist es ganz still auf der Fahrt, ich kann nur raten, was in den Köpfen meiner Kollegen vorgeht. Wir halten an einem kleinen Obststand direkt an der Straße und machen eine kurze Rast. Obwohl die A2 eine der „Trunk Routes“ ist, d. h. eine der Hauptverkehrsstraßen, entspricht ihr Zustand einer instandsetzungswürdigen Bundesstraße und wir werden kräftig durchgeschüttelt. Aber das Land hat jetzt andere Prioritäten. Kurz vor Weligama entdecke ich unweit des Ufers lange dicke Holzstangen mit ein oder zwei kurzen Querstangen, die dort senkrecht im Wasser stecken. W. erklärt mir, dass dies die Arbeitsplätze der Stangenfischer sind. Die Fischerei wäre jedoch eingestellt worden. Viele der lokalen Fische sind auch Aasfresser und viele der Tsunami-Opfer wurden ins Meer gespült. „Wir können doch nicht unsere Toten essen“ sagen die Einheimischen.
Für die etwa 250 km bis Kirinda brauchen wir über 6 Stunden. Und wir fahren nur durch zerstörtes Gebiet. Meine Kollegen in Hamburg sagten, ich solle viele Bilder machen, aber ich kann es einfach nicht. Ich kann mich nicht vor diese Menschen auf den Resten ihrer Existenz stellen und fotografieren. Kirinda erweist sich als ein geeigneter Ort für einen Pegel. Es gibt einen kleinen Hafen, eine Pier und das leere Gerippe einer ehemaligen Lagerhalle. Ein von der NARA genutztes Arbeitsschiff liegt etwa 100 m landeinwärts auf seinem Kiel, es ist weitgehend unbeschädigt und soll auf Schienen zurück ins Meer gezogen werden. Außerhalb des Ortes reichen Felsen bis ans Meer, eine gute Lage für unseren Pegel und der Hafenmeister könnte ein Auge drauf haben.
Auf dem Rückweg fahren wir über Timbolketiya, Madampe und Radnapura eine kürzere Strecke quer durchs Land. In einem kleinen Dorf machen wir Mittagsrast, wir sitzen vor dem kleinen Haus und essen Reis mit Linsen. Je weiter wir uns von der zerstörten Küste entfernen, desto gelöster wird die Stimmung im Wagen. Der singhalesische Fahrer erzählt laufend Döntjes und schüttet sich dabei vor Lachen aus. Ein so ansteckendes Lachen, dass ich, obwohl ich kein Wort verstehe, einfach mitlachen muss. Was für ein Unterschied zur Hinfahrt! Die Landschaft ist einmalig schön.
Wir fahren jetzt durch ein Gebiet mit Höhenzügen und schmalen Tälern. An den Hängen Teeplantagen und Reisfelder, dann wieder Gummibäume und Bananenplantagen. Im Laufe des Nachmittags kommt plötzlich Bewölkung auf die zunimmt, je weiter wir in die Berge kommen. Immer wieder gehen kräftige Monsunschauer nieder, unterbrochen von kurzen sonnigen Phasen. Dichter Nebel hängt an den Berghängen, dazu fast ununterbrochen Blitz und Donner und ein gelbliches Licht, als hätte man eine Sonnenbrille mit gelben Gläsern auf.
Wir halten an einer Teeplantage und trinken frisch geernteten Tee mit viel Milch. Die Berge weiter im Inneren des Landes erreichen eine Höhe von 2500 m. Wäre nicht alles wolkenverhangen könnten wir sie von hier aus sehen. Gegen 20:30 Uhr kommen wir, noch immer bei strömendem Regen, wieder in Colombo an. Den Kopf voller Eindrücke komme ich erst spät in den Schlaf.
Mittwoch, 27. April
Ein sonniger, heißer Tag. Den ganzen Tag Gespräche mit diversen NARA-Mitarbeitern, Telefonate, Berichte schreiben und Listen anfertigen. Wir tragen zusammen, welche Aufgaben bei der NARA in Folge des Tsunamis am dringlichsten sind und mit welchen Dingen wir eventuell helfen könnten. Ich bin noch immer ganz erschlagen von den gestrigen Eindrücken, den traumatisierten Menschen vor ihren Notunterkünften und den Zerstörungen. Hier bekommen Zahlen aus der Opferstatistik ein Gesicht.
Am Abend im Hotel setzt wieder Regen ein. Im Bett das starke Rauschen der Brandung, das sogar den Verkehrslärm vom Kreisel vor dem alten Parlament übertönt. In breiter Front laufen hohe Wellen auf und donnern tosend auf den Strand. Trotzdem schnell eingeschlafen.
Donnerstag, 28. April
Lange geschlafen, ausgiebig gefrühstückt. Ein heißer, sonniger Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit. W. und P. müssen am Vormittag ein paar Dinge außerhalb Colombos erledigen, aber wir haben uns am späten Nachmittag im Hotel verabredet, um den Bericht fertig zu stellen und letzte Dinge zu bereden. Ich setze mich am Pool in den Schatten und sortiere meine Aufzeichnungen und Notizen. Das Dringendste werden die beiden GPS-gestützten Radarpegel für das Frühwarnsystem sein. Ferner einige grundlegende Messgeräte für die notwendigen ozeanographischen Untersuchungen, insbesondere mit Hinblick auf die vielen Aquakulturen in den Lagunen und die lokale Küstenfischerei.
Am Abend, nachdem wir den Papierkram erledigt haben, gibt es ein letztes gemeinsames Abendessen im Hotel und ein paar Drinks an der Hotelbar. Zum Abschied schenken die Kollegen mir zwei aus Holz geschnitzte Elefanten, die auf einem kleinen Brett in stehen, das an die Umrisse Sri Lankas erinnert.
Freitag, 29. April
Um drei Uhr aufstehen, um vier holt mich ein Fahrer der NARA ab und bringt mich zum Flughafen. Auch zu dieser Zeit ist es schon – oder noch - drückend heiß in den Straßen von Colombo und es sind schon viele Menschen unterwegs. Der Rückflug geht wieder über Doha, diesmal mit einem Zwischenstopp in Male auf den Malediven. Viele kleine Inseln und Atolle, zum Teil dicht bebaut und alles nur eine gute Handbreit über dem Meeresspiegel.
In Male stehen wir zwei Stunden auf dem Flugfeld, irgendwas ist mit den Flugpapieren nicht in Ordnung. Dadurch verpasse ich fast in Doha meinen Anschlussflug, aber der ist zum Glück auch verspätet. Gegen 21 Uhr Ortszeit in Hamburg.
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Zweite Reise, November 2005
Zwischen den beiden Reisen ist eine Menge passiert. Wir haben über eine Tonne Material nach Sri Lanka fliegen lassen. W. und P. sind nach Deutschland gekommen und wurden in die Wartung und den Betrieb der Radarpegel eingewiesen. Anschließend haben sie an einer Forschungsfahrt mit einem BSH-Schiff teilgenommen. Dort haben wir ihnen gezeigt, wie die Geräte aus der Hilfslieferung vorbereitet und eingesetzt werden.
Am 12. August 2005 wurde der srilankische Außenminister von einem Heckenschützen der Tamil Tigers getötet, einer militanten tamilischen Gruppe, die für einen unabhängigen eigenen Staat im Norden Sri Lankas kämpft. Obwohl es in den Monaten nach dem Tsunami verhältnismäßig ruhig war, war dieser Konflikt noch lange nicht gelöst. Am 17. November 2005 gab es Wahlen in Sri Lanka, die zu einem Regierungswechsel führten. Auf Anraten der Kollegen in Sri Lanka haben wir die für diese Zeit geplante Reise verschoben, da es in den Wochen vor der Wahl überall Militärkontrollen gab, die das Reisen deutlich verzögert hätten. Auch war die Sicherheitslage im Land vor den Wahlen sehr angespannt.
Mittwoch, 23. November, Colombo
Gestern 19:20 ab Hamburg und 23:50 ab Frankfurt mit einem Direktflug nach Colombo mit Srilankan Airlines. In der Business Class sind von 18 Plätzen nur 5 besetzt. Nach zwei Gläsern Rotwein und einer leichten Mahlzeit bin ich gleich eingeschlafen.
Als ich aufwache sind wir über dem Arabischen Meer. Ein ruhiger Flug, die Sicht ist gut. Über dem Süden Indiens und dem Golf von Mannar nähren wir uns Colombo. Um 14:40 Ortszeit (MEZ+5) landet die Maschine pünktlich. W. wartet mit einem Fahrer vor dem Airport und bringt mich nach einer herzlichen Begrüßung wieder ins Ceylon Continental. Wieder der unheimliche Verkehrslärm von Colombo, das permanente Gehupe und die Hunde, die mitten auf der vierspurigen Ausfallsstraße schlafen. Der Fahrer fährt wie ein Henker, zumindest für deutsche Verhältnisse. Trotzdem brauchen wir für die knapp 30 km über eine Stunde. Im Hotel ein Zimmer im achten Stock mit Blick auf das Meer und einen Park, das Galle Face Green. W. rät mir mich gut auszuruhen, morgen wird es ein langer Tag werden. Abends sitze ich noch etwas am Pool, wieder kommt die Feuchtigkeit in dicken Schwaden von Meer, ein warmer feuchter Nebel, gut sichtbar gegen das Licht der Straßenbeleuchtung.
Donnerstag, 24. November
Gegen neun Uhr wieder ausgescheckt, ein Fahrer der NARA holt mich ab. W. macht mich mit den beiden Technikern bekannt, die uns nach Trincomalee, meist nur kurz Trinco genannt, begleiten werden. P. hat in der Zwischenzeit Sri Lanka verlassen. Dann ein langes Gespräch mit dem neuen Chairman der NARA und der Generaldirektorin. Beide bedanken sich für die bisher geleistete Hilfe und betonen ihr Interesse an einer langfristigen Zusammenarbeit mit dem BSH. Aber da sowohl in Deutschland wie auch in Sri Lanka gerade Wahlen stattgefunden haben, können beide Seiten zzt. keine verbindlichen Aussagen treffen.
Gegen 14 Uhr brechen wir auf nach Trinco. In Katawata, einem Vorort von Colombo stoppen wir kurz und einer der Techniker, der hier wohnt, lädt sein Gepäck dazu. Wir verlassen Colombo über die Kandy Road, folgen der Trunk Road A1 bis Ambepussa. Dort wechseln wir auf die A6, die direkt bis nach Trinco führt. Schon nach einer Stunde Fahrt beginnt es zu regnen, dazu Blitz und Donner. Der Regen ist so kräftig, dass nach kurzer Zeit die Straße unter Wasser steht. Zum Glück haben wir wieder einen geräumigen Geländewagen mit Vierradantrieb. Vor uns spritzt das von der Erde rot gefärbte schlammige Wasser auf, so dass man kaum sehen kann was vor uns liegt. Die kleinen dreirädrigen Tuc Tucs stehen am Straßenrand und kommen nicht weiter.
Kurz vor Kurunegala trinken wir in einem kleinen Rasthaus eine Tasse Tee. Weiter nördlich, in Dambulla, halten wir an einem Supermarkt und kaufen für die nächsten Tage ein. Getränke, Brot, einige große Säcke mit Reis, Fleisch, Bier und andere Dinge. Inzwischen ist es stockdunkel und wir kommen nur langsam voran. Die Dörfer sind meist ohne Strom und liegen im Dunkel. Oft sind es nur die grellen Gaslaternen der kleinen Verkaufsstände direkt an der Straße, an denen man die Lage der kleinen Dörfer erkennt. In dieser absoluten Dunkelheit sind Fußgänger und Radfahrer oft erst im letzten Augenblick auszumachen. Auf dem warmen Asphalt der Straße liegen aber auch gelegentlich Hunde und Rinder, zum Teil auch ganze Herden mit bis zu 30 Tieren und Elefanten. Bei Habarana machen wir gegen halb acht Pause. Wir sitzen unter dem Vordach der Veranda eines kleinen Gasthofs, essen ein gutes Curry und trinken dazu ein Bier aus dem Supermarkt.
Je weiter wir nach Trinco kommen, desto öfter passieren wir die Straßensperren der Militärposten. Alle mit Sandsäcken verbarrikadiert oder in befestigten Erdlöchern, meist nur mit einer Petroleumlampe spärlich beleuchtet. Wenn sie das große NARA-Emblem auf dem Wage sehen, werden wir meist schnell durchgewinkt. Gegen 23 Uhr erreichen wir den NARA-Bungalow am Cod Point in der großen Bucht von Trincomalee, die wiederum in mehrere kleine Buchten gegliedert ist. Cod Point liegt an der Spitze einer hohen schmalen Landzunge zwischen der Cod Bay und der China Bay. Für die 260 km lange Strecke haben wir fast 9 Stunden benötigt.
Der Bungalow besteht aus vier hintereinander liegenden Zimmern mit Bad. Auf jeder Seite führt eine Tür auf die beiden Veranden, die an beiden Seiten des Gebäudes entlang laufen. Daneben steht ein kleiner Wasserturm. Hinter dem Bungalow steht ein kleines zweigeschossiges Gebäude in dem unten eine Küche und oben ein Arbeitsraum liegen. Wir entladen den Wagen und sitzen mit einem Bier auf der Veranda. Es ist so dunkel, dass man nur wenig von der Umgebung sieht. Mir fallen vor Müdigkeit fast die Augen zu. Die Zimmer im Bungalow sind einfach. Zwei Betten mit einem Moskitonetz darüber und einer dünnen Schaumstoffmatratze, dazu ein dünnes Laken zum Zudecken. Der Ventilator und die Klimaanlage sind so laut, das an schlafen nicht zu denken ist, es sei denn, man ist so todmüde wie ich. Im Badezimmer haben die Ameisen das Kommando übernommen und an den Wänden leisten mir ein paar Geckos Gesellschaft.
Freitag, 25. November, Trincomalee
Gegen halb sieben weckt mich ein Höllenlärm, als würden große Holzfässer über das Wellblechdach gerollt. Das Geräusch wiederholt sich alle paar Minuten. Verschlafen trete ich vor die Tür und sehe eine Horde Paviane auf ihrem morgendlichen Rundkurs durch die Bäume und über unsere Dächer. Jetzt sehe ich auch zum ersten Mal die Umgebung. Von der einen Terrasse blickt man auf die China-, von der anderen Terrasse auf die Cod Bay im Norden. Im Garten um den Bungalow herum exotische Blumen und Palmen und ein paar Schritte weiter ein kleiner Hindu-Schrein. Zwei junge Männer halten Haus und Garten instand und bereiten auch die Mahlzeiten zu. Einkaufen müssen wir aber selbst. Die Kollegen weisen mich noch darauf hin, dass sich im Garten oft auch Cobras aufhalten, ich soll vorsichtig sein.
Schon zum Frühstück, gegessen wird im Arbeitsraum, gibt es ein scharfes Curry. Für mich haben sie eine Extraschüssel zubereitet und ich bekomme auch einen Löffel. Eigentlich essen hier alle mit der Hand. „Not so hot, not so hot“ sagen die Kollegen und zeigen auf meine Extraschüssel. Aber nach zwei Löffeln treibt es mir die Tränen in die Augen. Ich sehe, wie sie krampfhaft ein Lachen unterdrücken und muss dann selber lachen. Damit ist das Eis endgültig gebrochen, in Zukunft werde ich auch mit ihnen mit den Händen aus der gemeinsamen Schüssel essen.
Noch einen Kaffee, dann brechen wir auf und fahren zum Pegelhaus auf dem Ashraff Jetty, einer großen Pier die weit in die Bucht hineinragt. Der Jetty liegt nur wenige hundert Meter vom Bungalow entfernt, aber wir müssen einen großen Bogen um eine Militärbasis fahren, vorbei an einigen Militärposten. Das Pegelhaus wurde in der Zwischenzeit fertig gestellt und Teile der Anlage sind schon vormontiert. Aber beim Test des Pegels hängt sich die Anlage immer wieder auf. Nach langem Suchen, Messen und Probieren haben wir den Fehler gefunden. Bei Stromausfall will das System einen Alarm über Telefon und Satellit absetzen. Da aber zzt. weder die Standleitung zu einem NARA-Rechner noch zum Satelliten (Meteosat 5) steht, läuft der Alarm ins Leere und die Station hängt sich auf. Wir löschen alle aufgelaufenen Alarme und es gelingt uns eine Telefonverbindung zu aktivieren, die es uns ermöglicht die Daten vom Bungalow aus abzurufen. Das erforderte ein stundenlanges Hin- und Herfahren zwischen Pegelhaus und Bungalow.
Die Farbe des Pegelhauses hat seit der Errichtung viele Blasen bekommen, da es unmittelbar nach dem Anstrich heftig zu regnen begann. Bei dem großen Bulk Carrier, der an der Stirnseite der Pier liegt, leihen wir uns ein paar Spachtel und spachteln den Rest des Tages gemeinsam die Farbe runter. Der mit Kohle beladene Bulk Carrier kommt alle drei Monate und benötigt zum Entladen drei Wochen! Mit vier großen Greifern wird die Kohle über Schütten auf LKWs verladen, deren Fahrer unter ihren Fahrzeugen liegen und im Schatten schlafen.
Bis zum Abend haben wir die Farbe runter gespachtelt. Auf dem Rückweg kaufen wir für das Abendessen frisches Gemüse, Obst und Fisch an kleinen Ständen am Straßenrand. Nach dem Essen sitzen wir wieder auf der Veranda und genießen den Blick über die Bucht. Wir haben kleine Räucherspiralen angezündet um die Moskitos zu vertreiben. Die Fledermäuse fliegen dicht über unseren Köpfen, für sie scheinen die von der Lampe angelockten Moskitos eine Delikatesse zu sein. Dann wieder Blitz und Donner und ein tropischer Monsunregen der für Stunden anhält.
Samstag, 26. November
Am Morgen kein Kontakt zum Pegel. Wir fahren sofort nach dem Frühstück runter zur Pier. Es gab einen Blitzeinschlag und die Sicherung der Steuereinheit war – wie sie auch sollte – durchgebrannt. Dabei stellen wir auch fest, dass in der Sicherungshalterung vor dem Notstrom-Akku keine Sicherung sondern nur ein Dummy steckt. W. hatte zum Schutz vor Feuchtigkeit alles gut mit wasserfestem Tape verklebt, deshalb habe ich es nicht bemerkt.
Wir fahren gemeinsam nach Trinco rein, um ein paar Ersatzsicherungen zu besorgen. Der kleine Ort besteht aus kleinen ein- bis zweigeschossigen Häusern und wirkt wie ein einziger großer Basar. Viele Häuser sind zerstört, einige durch den Tsunami, andere vom Bürgerkrieg und wieder andere von beidem. An den Straßenrändern stinkende Müllhaufen, aber in den winzigen überfüllten Läden ist alles blitzsauber und wenn man lange genug sucht bekommt man auch fast alles. An den Straßenecken wieder Militärposten hinter Sandsäcken verschanzt. „No photos, Holger, we’ll get into troubles“ sagt W. und legt seine Hand auf meine Kamera. Wir suchen „Harrys Electric“ und fahren drei Runden durch den Ort, bevor wir den kleinen Laden finden.
Der Laden sieht aus wie eine große Garage und ist bis unter die Decke vollgestopft mit Elektrogeräten jeglicher Größe. Wir finden kaum Platz vor dem kleinen Tresen. Während Harry nach den Sicherungen sucht kaufe ich einen kleinen Taschenrechner für einen Euro, meinen habe ich zu Hause vergessen. Nach wenigen Minuten taucht Harry mit einer Packung Sicherungen in der Hand wieder aus dem Chaos auf und strahlt uns an. Erleichtert machen wir uns auf den Rückweg und kurze Zeit später läuft der Pegel wieder und die Daten werden übertragen.
Am Nachmittag kommen einige NARA-Kollegen aus Colombo und inspizieren das Pegelhaus. Es hat inzwischen wieder zwei Schichten Farbe bekommen und W. erklärt den Besuchern die Funktionen des Pegels. Am frühen Abend fahren wir alle gemeinsam über Trinco zum Nilaveli Beach in einer Bucht nördlich von Trinco. Wir fahren mit den Geländewagen direkt auf den Strand neben dem Nilaveli Beach Hotel. Es ist weitgehend intakt mit einer großen ummauerten Terrasse zum Strand hin, während viele der anderen Hotels noch immer zerstört sind. Die Bucht ist traumhaft schön und gilt als einer der schönsten Strände Sri Lankas. Normalerweise würde hier jetzt reger Betrieb herrschen, aber heute haben wir den Strand für uns. In der Bucht liegt eine kleine unbewohnte Insel, Pigeon Island, davor ein großes Korallenriff. Wir baden bis es dunkel wird in dem warmen Wasser. Dann sitzen wir am Strand und eine Flasche Arrak macht die Runde.
Auf dem Rückweg kaufen wir einen Schwung kleiner Korallenfische, die wir vor dem Dinner kross gebraten wie Chips zum Bier verzehren. Um 23:30 Uhr (!) gibt es zum Dinner ein leckeres Curry. Bevor wir ins Bett gehen checken wir noch einmal den Pegel, die Station läuft.
Sonntag, 27. November, 1. Advent
Um fünf Uhr in der Frühe machen sich unsere Besucher auf den Weg zurück nach Colombo. Die Station läuft und noch vor dem Frühstück laden wir die ersten Daten runter. In der Nacht hat es wieder heftig geregnet, aber jetzt brennt wieder die Sonne. Gestern haben wir die Station geodätisch eingemessen, heute bringen wir die Korrekturen an, so dass die Pegelwerte jetzt die Abweichungen vom Mittleren Meeresspiegel ausgeben. Parallel dazu bekommt das Pegelhaus den dritten Anstrich. Gegen Mittag ziehen Wolken auf und für gut zwei Stunden geht ein schwerer Monsunregen nieder. Zum Glück ist die Farbe schon durchgetrocknet, bei 30°C dauert das nicht lange.
Nach dem Regen fahren wir zu den heißen Quellen nordwestlich von Trinco. Neben den Resten eines alten Hindutempels liegen innerhalb eines Steinbeckens sieben heiße Quellen, deren Wasser unterschiedliche Temperaturen hat. Früher wurden sie für rituelle Waschungen benutzt, aber auch heute noch stehen viele Menschen in dem Steinbecken und übergießen sich mit dem Wasser, dem eine heilende Wirkung nachgesagt wird. Über Kanniyai fahren wir durch eine savannenartige Landschaft mit hohem Gras mit vereinzelten Bäumen und kleinen Baumgruppen in Richtung Nilaveli. Wir sehen Affen, Elefanten, Pfaue und viele kleine bunte Vögel. Am Himmel ziehen in großer Höhe mehrere Adler ihre Kreise.
Auf halbem Weg zwischen Kanniyai und Nilaveli liegen die Ruinen des Vilgam Vehera Buddha Tempels. Neben einer großen Buddha-Figur und Resten einer Stupa auch die Ruinen von Gebäuden, die medizinischen Zwecken dienten, erkennbar an den großen in Stein gehauenen Wannen für Öl- und Kräuterbäder. Es ist ein großer Komplex, der eine große Ruhe ausstrahlt, zumal wir fast die einzigen Besucher sind. Über Nivaleli fahren wir zurück nach Trinco und passieren erneut viele Militärposten. Wieder wird der Geländewagen der NARA als Behördenfahrzeug zügig durchgewinkt. Nördlich von Trinco beginnt das Gebiet der militanten Tamil Tigers, der „The Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE), die im Nordosten Sri Lankas für einen unabhängigen Staat kämpfen.
In fast allen kleinen Ortschaften gibt es ein Internetcafé, dort stoppen wir in regemäßigen Abständen und kontrollieren den Pegel. Zzt. gibt es keine Probleme und so wir fahren wir weiter nach Trinco, hoch zum Fort Frederick und zum Koneswaram Shiva Tempel. Beide liegen hoch über dem Meer auf einer Felsklippe am Ende einer schmalen Landzunge, die in den Indischen Ozean ragt. Neben dem Tempel ragt ein kleiner Baum über die Klippen, an dem viele kleine an Fäden aufgehängte Bettchen im Wind schaukeln. Sie sollen einen Kinderwunsch erfüllen und wenn der Wunsch in Erfüllung gegangen ist, wird das Bettchen wieder entfernt und im Tempel ein Opfer erbracht.
Wie bei allen Tempeln, müssen wir vor der Tür die Schuhe ausziehen. Vom Eingang aus geht der Blick durch mehrere Räume auf das Heiligtum in Form eines geschmückten Elefanten. Wir dürfen die ersten beiden Räume betreten, deren Eingänge mit Silber verziert sind. Nachdem ich auch den Oberkörper frei gemacht habe, darf ich in Begleitung eines Priesters auch den nächsten Raum betreten, der eigentlich den Priestern vorbehalten ist.
Auf dem Rückweg erledigen wir wieder den Einkauf für den nächsten Tag und fahren durch eine undurchdringliche Dunkelheit zurück. Nur an den Militärposten hängen einige Petroleumlampen, wie auch an den kleinen Ständen am Rande der Straße, an denen bis spät in den Abend reges Treiben herrscht. Bei einem Fischer kaufen wir einen großen frisch gefangenen Fisch, der fast einen Meter lang ist. Einer der Techniker hält ihn durch das geöffnete Fenster außerhalb des Wagens fest, damit das restliche Blut nicht ins Innere des Wagens tropft.
Montag, 28. November
Am Morgen ist die Station wieder nicht erreichbar. Wir fahren runter zum Jetty und messen alles durch. Solaranlage, Akku, Netzspannung, alles OK. Die Power Conversion Unit hat Strom, liefert aber keine Ausgangsspannungen. Das Bauteil kann nicht defekt sein, gestern Abend hat es ja noch funktioniert. Ratlos ziehe ich eine Steckerleiste aus der Halterung im Schaltschrank, stecke sie wieder rein und die Station läuft. Das Problem ist die hohe Luftfeuchtigkeit. Wir müssen große Mengen an Trockengel besorgen, das innerhalb der Schaltschränke gelagert wird und zukünftig regelmäßig ausgetauscht werden muss.
Immer wieder werden wir auf der Pier von Fischern und anderen Anwohnern gefragt, was wir hier machen würden. Wenn W. ihnen dann erklärt, dass wir einen Pegel für ein neues Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean installieren, fangen fast alle sofort an zu erzählen, was ihnen zugestoßen ist und wie viele Mitglieder ihrer Familie ums Leben gekommen sind. Die Menschen hier sind ungeheuer freundlich und hilfsbereit, aber wenn das Thema auf den Tsunami kommt merkt man, wie sehr sie noch traumatisiert sind. Und trotzdem hört man sie kaum klagen.
Am späten Vormittag brechen wir auf nach Polonnaruva. Wir fahren in südwestlicher Richtung auf der A6 bis kurz hinter Kantale. Dort verlassen wir die Hauptstraße in östlicher Richtung und fahren auf einer rauen Piste eine gute Stunde am Ufer eines Flusses entlang Auf beiden Seiten weite Savanne. In den kleinen Dörfern stehen Frauen und Kinder im Fluss und waschen sich die Haare oder die Wäsche
Polonnaruva ist ein weitläufiger Komplex mit alten Palästen, Ruinen von Buddha- und Hindutempeln, riesigen Stupas und alten Schreinen. Wir besuchen zuerst das Museum, in dem der gesamte Komplex im Modell rekonstruiert ist. Besonders interessant finde ich eine Serie von Fotopaaren, auf denen Teile der Anlage in dem Zustand abgebildet sind, wie sie die Engländer vorfanden und wie sie heute aussehen. Ganz Sri Lanka war von 1815 bis 1948 eine Britische Kolonie und hieß British Ceylon. Nachdem W. noch einmal den Pegel kontrolliert hat, gibt es in einem kleinen Restaurant das obligatorische Curry, an den scharfen Geschmack habe ich mich inzwischen gewöhnt.
Bis zum Ruinenfeld müssen wir noch eine kurze Strecke fahren. Etwa 20 Minuten nach Ankunft fängt es an zu regnen. Erst ein leichter Regen, dann gießt es für Stunden in Strömen. Nach wenigen Minuten sind wir bis auf die Haut durchnässt. Das Wasser steht eine gute Handbreit auf dem Boden und die Wege sind völlig verschlammt. Trotzdem besichtigen wir einen Großteil der Anlage, auch die NARA-Kollegen waren einige Jahre nicht mehr hier und genießen den Ausflug. Eigentlich bräuchte man für Polonnaruva mindestens zwei Tage. Jetzt, wo die Anlage zuverlässig zu laufen scheint, wollen mir die Kollegen noch so viel wie möglich zeigen. Ob Tamile oder Singhalese, sie sind stolz auf ihr Land und seine lange Geschichte.
Am Abend, auf dem Rückweg, nehmen wir eine andere Route. Auch der Regen lässt langsam nach. Wir überqueren eine Bergkette und an vielen Stellen kann man weit über das Land blicken. Statt offener Savanne gibt jetzt auch viel Wald. Im letzten Tageslicht fahren wir durch ein kleines Dorf, mitten im Wald an der Biegung eines Flusses gelegen. Die Einwohner haben sich am Brunnen versammelt. Mit Handtuch und Zahnbürste stehen sie in kleinen Gruppen und klönen, warten bis ein Platz am Brunnen frei wird. Mehrmals müssen wir in der Dunkelheit Elefanten ausweichen, die auf dem warmen Asphalt liegen und erst im letzten Augenblick zu erkennen sind.
Spät abends sitzen wir wieder auf der Terrasse unter der Lampe, am Boden eine Räucherspirale gegen die Moskitos. Die Türen zu den Zimmern müssen wir geschlossen halten, sonst verfangen sich die Fledermäuse in den Moskitonetzen über den Betten. Jetzt, in der Dunkelheit, jagen sie die Insekten, die von unserer Lampe angelockt werden und fliegen oft nur eine Handbreit über unseren Köpfen. Tagsüber hängen sie kopfüber in den Bäumen und schlafen. Selbst direkt an den belebten Durchfahrtstraßen der Ortschaften stehen Bäume, deren Äste schwarz sind von den vielen dicht an dicht hängenden Fledermäusen. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend in Trinco und die Stimmung ist bei allen etwas wehmütig. Vor dem ersten Bier rufen wir wieder die Pegeldaten ab, es gibt keine Probleme!
Dienstag, 29. November
Noch vor dem Frühstück kontrollieren wir wieder den Pegel, alles OK. Zwei der Kollegen sind schon um fünf Uhr mit dem Bus nach Colombo aufgebrochen. Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen und beladen den Wagen. Wir nehmen Abschied vom Bungalow und seinen beiden Betreuern, die uns so gut versorgt haben. Ein letztes Mal fahren wir zum Pegelhaus und dann auf der A6 wieder in Richtung Colombo. Als wir das Stadtgebiet von Trinco verlassen hören wir eine starke Detonation.
Die NARA-Kollegen haben morgen in der Nähe von Kandy noch etwas zu erledigen, sodass wir einen kleinen Umweg machen und die nächste Nacht in der ehemaligen Hauptstadt von Sri Lanka verbringen werden. Aber vorher wollen sie mir noch Sigiriya, den Löwenfelsen, zeigen. Wir nehmen fast dieselbe Route wie gestern, Sigiriya liegt nur knapp 30 km westlich von Polonnaruva. Es ist ein etwa 200 m hoher Monolith mit steilen Wänden, die einen Aufstieg schwierig machen. Er liegt in einer weiten, von Bergen umsäumten Ebene mit Wassergärten und den Resten weitläufiger Parkanlagen. Auf der relativ ebenen Oberfläche des Felsens wurde etwa 500 n.Chr. ein Palast errichtet, von dem nur noch die Grundmauern und die großen in den Fels gehauenen Zisternen stehen. Die aus Holz gefertigten Gebäude sind auf Grund des feuchten Klimas längst vergammelt.
Auf halber Höhe, unter einem Felsüberhang, gibt es aus dieser Zeit noch Fresken, die sogenannten Wolkenmädchen. Um den Aufstieg zu erleichtern, hat man auf einer Seite des Felsen eine Stahltreppe errichtet. Der Aufstieg ist mühsam bei der Hitze, aber der Rundumblick fantastisch. Heute ist es den ganzen Tag sonnig und die Feuchtigkeit steigt wie ein milchiger Dunst aus der Ebene in die Höhe. Unsere Wasservorräte gehen zu Neige und wir steigen wieder ab, um ein paar Flaschen Wasser zu kaufen. In der Nähe von Sigiriya finden wir ein kleines Gasthaus, wo es eine kleine Auswahl von Currys gibt.
Am frühen Abend erreichen wir Kandy. Auf den Straßen dichtes Gedränge. Autos, Fahrräder, TucTucs, Karren mit Obst und Gemüse und Elefanten die Lasten transportieren. Wir fahren zweimal um den Kandy Lake im Zentrum der Stadt, bevor wir ein Hotel für mich finden. W. wird mit seinem Kollegen bei seinen Eltern schlafen, die in der Nähe wohnen. Abends sitzen wir auf dem Balkon im ersten Stock eines Pubs mit Blick auf das bunte Treiben in den Straßen. Wid hier üblich, wird erst getrunken, ein gutes lokales Bier, und dann ausgiebig gegessen bevor man dann auseinandergeht.
Mittwoch, 30. November
Frühstück auf der Dachterrasse des Hotels, das hoch über dem Kandy Lake liegt. Auf dem gegenüberliegenden Bergzug ragt der Wald aus dem Dunst und in der Morgensonne sind auch ein paar Häuser zu erkennen. Dann schiebt sich eine Wolkenschicht über den Kamm, ständig wechselndes Licht, bis sich die Sonne durchsetzt und es aufklart. Durch den Wald hinter dem Hotel tobt eine Horde Paviane, etwa zwanzig Tiere. Hinter einem Gewirr aus Zweigen und Blättern sitzt ein großes Männchen, vermutlich der Chef der ganzen Bande.
Gegen Mittag holen mich die Kollegen ab und wir fahren zu dem großen Buddha-Tempel am gegenüberliegenden Seeufer, dem Sri Dalada Maligawa, was Zahntempel bedeutet. Hier wird eine Reliquie verehrt, angeblich ein Zahn Buddhas. Es ist ein großer Komplex mit vielen Nebentempeln und einer offenen, mit schönen Schnitzereien versehenen Meditationshalle. Eigentlich ist der Tempel eine der großen Touristenattraktionen in Sri Lanka, aber jetzt, nach dem Tsunami, sind die meisten Besucher Buddhisten, die betend oder in Meditation versunken überall in den Tempeln sitzen. W. zeigt mir noch in einem kleinen Museum alte Bücher, bei denen die Seiten aus schmalen rechteckigen Palmenblättern bestehen. Darunter sind auch medizinische Fachbücher mit winzigen Zeichnungen auf den schmalen Blättern.
Wir fahren auf der A1 über Mawanella, vorbei am Bible Rock, und weiter über Kegalla und Ambepussa zurück nach Colombo. Unterwegs machen wir eine kleine Pause in der W. bei der NARA anruft, um unsere Rückkehr anzukündigen. Völlig verstört kommt er zurück und berichtet, dass die NARA einen neuen Chairman hat. Der Vorgänger, mit dem ich noch vor einigen Tagen gesprochen habe, wurde vom zuständigen Minister der neuen Regierung abgesetzt und musste gestern kurzfristig seinen Schreibtisch räumen, anderen Mitarbeitern der NARA ging es ebenso. Gegen 18 Uhr bin ich wieder im Hotel in Colombo.
Donnerstag, 1. Dezember
Lange geschlafen und ausgiebig gefrühstückt, ich weiß, dass es heute ein sehr langer Tag wird. Mittags bringt mich ein Fahrer zur NARA. W. hat den Pegel kontrolliert, er läuft weiterhin ohne Probleme. Die Stimmung bei der NARA ist etwas gedämpft und auch ratlos. Die Generaldirektorin lädt uns zu einem Mittagessen in einem kleinen Restaurant in der Kandy Road ein. Auf meine direkte Frage hin sagt sie, dass auch sie nicht weiß, wie lange sie noch im Amt bleiben wird. Und dann erfahren wir auch, dass es sich bei der Detonation, die wir in Trinco am letzten Tag gehört haben, um den ersten schweren Anschlag nach dem Tsunami gehandelt hat, der den LTTE zugeschrieben wird.
Am Nachmittag stellen wir eine To Do-Liste für die Wartung des Pegels auf und schmieden Pläne für die Zukunft. Anfang nächsten Jahres werde ich noch einmal nach Sri Lanka kommen, dann wollen wir den zweiten Pegel in Kirinda in Betrieb nehmen. Die Kollegen machen den Vorschlag, den Abend an einem Strand im Norden Colombos zu verbringen und mich dann später am Flugplatz abzusetzen. Eine gute Idee, es ist trocken und soll auch später nicht regnen. Am späten Abend fahren wir mit mehreren Kollegen an den Strand. In den Randbezirken der Stadt kleine Häuser, die obligatorischen Müllhaufen an der Straße, die aber täglich am frühen Morgen abgeholt werden.
Direkt am Strand eine kleine Hütte mit ein paar Tischen und wackeligen Stühlen davor. Hier gibt es Softdrinks und ein paar Kleinigkeiten zum Essen, die alkoholischen Getränke muss man selbst mitbringen. Einige Kollegen fahren ins nächste Dorf und besorgen Bier und Arrak. Wir lassen unsere gemeinsame Zeit und die durchgeführten Arbeiten Revue passieren und wieder kommt eine gewisse Wehmut auf. Auf der anderen Seite der Bucht die Lichter des Hafens von Colombo, der Himmel sternenklar. Gegen Mitternacht fahren wir zurück durch Colombo und noch immer ist viel Betrieb in den Straßen. Vor dem Flugplatz mehrere Militärkontrollen und wieder wird das NARA-Fahrzeug schnell durch gewinkt, ich muss nur mein Ticket vorzeigen. Es ist ein Uhr morgens und es herrscht ein reger Betrieb. Trotzdem geht es beim Einchecken und der Passkontrolle recht zügig voran. Bis zum Abflug habe ich noch zwei Stunden Zeit.
Freitag, 2. Dezember
Die Maschine startet pünktlich um 03:20. Die Business Class ist wieder nur spärlich besetzt und ich habe eine ganze Bank für mich alleine. Ich bin so müde, dass ich schnell einschlafe, es war wirklich ein sehr langer Tag! Als ich aufwache geht die Sonne gerade über einer Wüste auf. Ich muss mich erstmal orientieren wo wir sind. Auf dem kleinen Bildschirm im Vordersitz sehe ich, dass wir gerade den Libanon überfliegen. Dann geht es über das Mittelmeer, über Zypern und die Türkei nach Paris. Dort machen wir für etwa eine Stunde eine Zwischenlandung. Ein Großteil der Passagiere steigt aus, dann geht es weiter über Frankfurt nach Hamburg. Ich habe immer noch meine „30°C-Kleidung“ an. Als ich in Hamburg das Terminal verlasse ist es eisig kalt. Ich überlege ob ich den Koffer öffne und einen Pullover anziehe, schnappe mir aber dann lieber das nächste Taxi für die letzten wenigen Kilometer.
⎈
Meine dritte Reise konnte nicht mehr stattfinden. Der Bürgerkrieg in Sri Lanka war wieder ausgebrochen und alle Aktivitäten wurden abgebrochen. Das Auswärtige Amt hatte für Sri Lanka eine Reisewarnung erlassen. Es durfte auch generell kein technisches Material mehr nach Sri Lanka geschickt werden, es könnte ja militärisch genutzt werden. W. und seine Kollegen haben den Pegel alleine errichtet und in Betrieb genommen. Alle Probleme konnten wir mit vielen Telefonaten und Emails lösen, ein müheseliger Vorgang, der sich über Wochen hinzog. Auch die Kollegen aus dem Tsunami-Warnzentrum für den Pazifik auf Hawaii haben mitgeholfen. Die Kollegen dort hatten mich schon vor der ersten Reise bezüglich technischer Details beraten.
Erst am 18. Mai 2009 wurde der Bürgerkrieg offiziell beendet. In einem Küstenstreifen etwa 100 km nördlich von Trincomalee wurden 300.000 LTTE-Kämpfer und Zivilisten eingekesselt und gefangen genommen. Dabei kam es zu zahlreichen Kriegsverbrechen und vielen Toten. Nach Angaben der UN vom Mai 2009 sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs in 1983 und 2009 zwischen 80.000 und 100.000 Menschen umgekommen, andere Organisationen nennen auch höhere Zahlen[1].
Ich habe seitdem oft über diese krasse Diskrepanz nachgedacht: Auf der einen Seite diese zurückhaltenden, freundlichen, offenherzigen Menschen und die weitgehend friedliche Toleranz zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen. Es hatte nach den Berichten meiner Kollegen nach dem Tsunami auch eine große gegenseitige Hilfe zwischen Tamilen und Singalesen gegeben, es gab eine Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden konnten. Und dann wieder das plötzliche Umschlagen in die unbarmherzige Gewalt des Bürgerkriegs, vornehmlich im Norden Sri Lankas.
[1] https://www.reuters.com/article/us-srilanka-war-idUSTRE54L0YW20090522 (Bericht vom 20.05.2009)
Mai 2022