Ein Haus in den Wäldern

Kuusamo, Finnland

Zuerst muss ich von der Stille und Ruhe der Landschaft erzählen, einer Stille, die voller Geräusche ist: Das Geräusch unserer Stiefel auf dem trockenen Schnee, das leise Gemurmel der Bäche mit den vereisten Uferstreifen, das Rauschen und Tosen der Flüsse in den Stromschnellen und Wasserfällen in den tiefen Canyons und gelegentlich auch das Heulen der Wölfe. Gesehen haben wir sie nie, aber jeden Morgen hatten wir frische Wolfsspuren im Schnee hinter dem Haus.

Ein Haus in dem wir uns von der ersten Minute an wohl und geborgen fühlten. Ein geräumiges Haus aus massiven Baumstämmen mit Sauna und Kaminofen, ein Haus in dem man schnell vergaß, dass draußen bis zu -25 °C herrschten. Und egal aus welchem Fenster man guckte, man sah in den Wald oder auf den baumbestandenen Hang des Hügels hinter dem Haus. Es liegt 18 km Luftlinie nordöstlich von Kuusamo, 22 km westlich der russischen Grenze und 50 km südlich des Polarkreises.

Als wir eine Stunde nach Mitternacht am Sonntag vor Heiligabend von Oulu kommend das Haus erstmals betraten, fielen uns zwei Dinge auf: Das Haus war mollig warm und in der Ecke neben dem langen Esstisch stand ein geschmückter Tannenbaum! Schnell luden wir unser Gepäck aus dem Auto und bereiteten ein spätes Abendbrot mit viel heißem Tee zu. Dann die Betten beziehen und das Nötigste auspacken, die Weihnachtsgeschenke kamen gleich unter den Weihnachtsbaum. Zwei Tage später haben wir ein wunderbares Weihnachtsfest gefeiert mit einem Festmahl mit Rentiergeschnetzeltem und einem typischen lappländischen Steckrübenauflauf.

Stapfte man in Richtung Norden auf den Hügel hinter dem Haus, hatte man einen weiten Blick über die Umgebung. Man sah einen Teil des Suinikis zwischen den Baumstreifen am Seeufer und sonst nur die verschneiten Wälder, ein endloses Auf und Ab bewaldeter Bergrücken bis an den Horizont. Nur an wenigen Stellen, meist an den Seeufern, war der Wald für eine paar kleine Felder gerodet. Dort standen die rot oder ockergelb gestrichenen Holzhäuser der Waldbauern, meist nur ein kleines Wohnhaus und wenige Wirtschaftsgebäude. 
Weiter nach Norden fiel der Hang wieder zum Seeufer ab. Wir suchten uns einen Weg durch das hohe Heidelbeergestrüpp unter der Schneedecke und durch den schmalen Waldgürtel am Ufer, dann standen wir auf dem von Schnee und Eis bedeckten Suiniki, einem See, der sich von dort aus 16 km nach Osten, fast bis an die russische Grenze erstreckte.

In all den Tagen zog es uns immer wieder auf die weite Fläche dieses Sees. Hier waren auch die ständigen Veränderungen des Lichts am deutlichsten zu erkennen. Jetzt, Ende Dezember, ging die Sonne gegen 10 Uhr 30 auf, stieg eine Handbreit über den Horizont und ging knapp drei Stunden später wieder unter. An klaren Tagen tauchte sie das nördliche Seeufer in zarte Rottöne, die später in ein blasses Lila wechselten bis die frühe Dämmerung die Farben wieder auslöschte. 
An bedeckten Tagen lag oft ein leichter Nebel über dem See. Dann waren die Entfernungen nicht mehr abzuschätzen und die vielen kleinen bewaldeten Inseln schienen in unbestimmter Ferne auf dem See zu schweben, eine fast mystische Landschaft, in der jetzt feine Abstufungen von Grau- und Blautönen und ein stumpfes helles Ocker im hohen trockenen Ried an den Seeufern dominierten. Auf der weiten Schneefläche orientieren wir uns meist an den Spuren der Schneemobile, aber es gab auch viele Wildspuren im Schnee: Rentierfährten, Spuren von Vögeln, Schneehasen, Füchsen und Wölfen. Wenn wir die kleinen Höfe am Ufer passieren schlugen die Hunde an, oft war es auch ein gutes Dutzend Schlittenhunde.

Aber wir unternahmen auch Tageswanderungen in der weiteren Umgebung. Wir liefen die „Kleine Bärenrunde“ (Pieni Karhunkierros), wo der Fluss Kitkajoki in den See Jyrävánjärvi mündet, und durch den Oulanka Canyon (Olangan kanjoni). 
Stets brachen wir nach einem schnellen Frühstück früh in der Dunkelheit auf, um möglichst beim ersten Tageslicht am Startpunkt der Rundwanderwege zu sein. Beide Routen liefen durch tief verschneite Wälder und an tief eingeschnittenen Flüssen entlang. 

Die Trails liefen teils direkt an den Ufern der Flüsse oder am oberen Rand der steilen Klippen entlang mit spektakulären Ausblicken in die Täler mit ihren Stromschnellen und Wasserfällen. Dort war das Wasser offen und die ganze Schlucht war vom Rauschen und Tosen der Fälle erfüllt. 
An den ruhigeren Abschnitten der Flussläufe war das Wasser bis auf wenige Stellen gefroren. Auch war es unten in den Canyons, wo monatelang kein Sonnenlicht hinkommt, deutlich kälter und die geplanten Pausen fielen deutlich kürzer aus. So wie man sich eine Zeitlang nicht bewegte, kroch sofort die Kälte durch die Kleidung. Also schnell die Brote ausgepackt, die Hände am heißen Kaffeebecher gewärmt und dann weiter.


Ein weitere Höhepunkt war ein nächtlicher Ritt auf Islandpferden, der auf einem alten Gutshof in der Nähe von Kuusamo begann. Auf einem engen gewundenen Trail durch den Wald, steil bergauf und bergab, an kleinen verschneiten Seen vorbei, ohne jegliches Licht. Aber die Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit und der Schnee reflektierte so viel Licht, dass man gut sehen konnte. 
Und wieder diese wunderbare Stille. Man hörte nur das Stampfen der Pferde im Schnee, ihr Schnaufen und auch wir wechselten nur wenige Worte in der kleinen Gruppe. 


Der Abschied fiel uns schwer. 
Aber am Abreisetag hatten wir einen wolkenfreien Himmel in einem unbeschreiblichen Blauton, den es nur hier im hohen Norden gibt. In der Nacht hatte es wieder geschneit, aber die Straßen waren gut zu befahren. Nach zwei Stunden Fahrt in Richtung Oulu wurde der Wald lichter und wir fuhren streckenweise durch freie Felder. Hier, weiter südlich, kam die Sonne schon etwas höher über den Horizont und auf den weiten schneebedeckten Feldern lag ein fast goldenes Licht.


Dezember 2018 / Januar 2019

Fotos: © H. Klein, M. Klein
Skizze: © H. Klein