Cloghanmore

Malin More – Malin Beg – Glencolumbkill – Ardara; Irland

Zusammen mit meinem Freund Peter und seiner Frau Elke verließen wir den Fischereihafen Killybegs an der Donegal Bay auf der R263 in Richtung Westen. Die die Straße folgt einige Kilometer dem Küstenverlauf, bis sie hinter Shalwy in nordwestlicher Richtung von der Küste weg führt. Ab Carrick folgt sie dem Verlauf des kleinen Flusses Owenwee bis kurz vor Lough Unna. Hier biegen wir links auf die noch kleinere Straße L1025 ab, die, vorbei am Lough Auva, weiter bis zu der kleinen Ortschaft Malin More führt. Sie verläuft durch ein einsames und Tal mit nur wenigen verstreuten kleinen Höfen, das ebenfalls Malin More heißt. Auf der linken Seite steigt das Geländer erst sanft und dann immer steiler an. Es sind die landseitigen Steilhänge von Slieve League, seeseitig fällt das Gelände aus 600 Metern Höhe in Form steiler Klippen zum Atlantik ab. Nach Nordwesten schließt sich der 432 Meter hohe Leahan an, dessen Ausläufer bis zur Bucht von Malin Beg mit ihrem feinen Sandstrand reichen, eines unserer Ziele dieser Reise.

Beiderseits der schmalen L1025 wachsen Heide und eine Art Binsengras. Überall grasen Schafe, oftmals müssen wir anhalten und warten bis sich die Schafe bequemen, die Straße wieder zu verlassen und den Weg frei zu geben. Auf beiden Seiten wird intensiv Torf abgestochen. An vielen Stellen liegen die abgestochenen Torfsoden zum Trocknen auf und unter Plastikplanen. Der Himmel ist bedeckt und immer wieder gibt es kurze Schauer, die aber nicht lange andauern. Eine schöne aber karge, raue Landschaft, die uns an die Cairngorms in Schottland erinnert. Hier wie dort dominieren die Farben Braun und Grün die Landschaft unter einem oft grauen Himmel. Obwohl es keine Bäume gibt und man einen freien Blick hat, wirkt das Tal im Schatten der vor der Küste liegenden Berge etwas düster. Aber das sieht bei Sonne sicherlich anders aus. 

Nach ein paar Kilometern entdecken wir links der Straße eine große steinzeitliche Grabanlage, Cloghanmore. Von einem kleinen Parkplatz aus führt ein Weg, zum Teil über Holzbohlen, durch das feuchte Gelände zu den Resten eines großen Hofgrabs mit zwei seitlichen Galerien und zwei großen Kammergräbern am Ende. Die ganze Anlage ist knapp 50 Meter lang und über 10 Meter breit. Begeistert stöbern wir durch die alte Anlage. Bei einigen Grabkammern fehlen die Decksteine, aber die ursprüngliche Struktur ist noch gut zu erkennen. Die hellen Steine der Anlage heben sich gut von dem dunklen Grün des Untergrundes ab und auf vielen Steinen sind Landkarten zu erkennen, die die Oberfläche der Steine in kleine Teilgebiete gliedern: Landkartenflechten. Jede Flechte hat eine etwas unterschiedliche Farbe und die Ränder der einzelnen Flechtenkörper sind schwarz gefärbt, wie die Grenzen zwischen Fürstentümern oder kleinen Königreichen auf mittelalterlichen Landkarten. Zusätzlich markieren die dunklen Fruchtkörper der Flechten die Lage der Städte und Burgen.

Als die Grabanlage vor über 3000 Jahren errichtet wurde, war das Tal von Malin More ein fruchtbares Gebiet in dem Ackerbau und Viehwirtschaft betrieben wurde. Dann änderten sich das Klima und in der Folge die Bodenbeschaffenheit, es wurde feuchter und nach und nach versank die Anlage im Boden. Erst im 19. Jahrhundert entdeckten Torfstecher die versunkene Anlage und gruben sie wieder aus. Dann wurde ein Teil der Steine für den Haus- und Straßenbau verwendet und die Anlage bekam ihren heutigen Namen: Der gälische Name Cloghanmore bedeutet „Großer Steinhaufen“. Später wurden sie unter Schutz gestellt und soweit möglich restauriert.

Kurz bevor wir in der kleinen Ortschaft Malin More wieder auf die R263 stoßen, halten wir an einem Gebäude etwas abseits der Straße, in dem Wollsachen aus lokaler Produktion, Souvenirs, Land- und Postkarten sowie Kaffee und Kuchen verkauft werden. Wir stöbern etwas im Laden herum, Peter und ich kaufen uns wetterfeste Regenhüte, die wir bald zu schätzen wussten, und Elke entdeckte einen schönen warmen Schal. Dann wärmen wir uns mit einem Pott Kaffee auf. 

In Malin More biegen wir links auf das letzte Stück der R263 ab, das nach uns Malin Beg führt. Die letzten Kilometer sind fast einspurig, sehr kurvig und es geht steil auf und ab. Dafür gibt es spektakuläre Ausblicke auf den Atlantik und die kleine, vorgelagerte Insel Rathlin O’Beirne mit ihrem kleinen Leuchtturm. Malin Beg besteht nur aus einer Hand voll Häuser und der kleinen, eng umschlossenen Bucht mit dem berühmten „Silver Strand“. Die Straße endet an einem kleinen Parkplatz, von dort führt eine steile Holztreppe 170 Stufen hinunter in die Bucht. Der fast weiße Strand wirkt fast etwas unwirklich zwischen dem dunklen Gestein der fast senkrecht abfallenden Klippen. Am Fuß der Klippen, zwischen abgebrochenem Gestein, finden wir viel angespülten Plastikmüll: Fischernetze, Seile, Teile von armdicken Festmacherleinen, Planen und Flaschen bis hin zu Mikroplastik. Auf dem Strand entdecken wir zwei tote Basstölpel, einer ohne Kopf und ohne Füße, dem anderen hängt ein Stück Kunststoffleine aus der Speiseröhre. Und trotzdem ein schöner Ort, der Strand wirkt sauber, da sich das Treibgut vorwiegend zwischen den Steinen am Fuß der Klippen verfängt. Wir streifen eine gute Stunde durch die ganze Bucht, außer uns sind nur wenige Besucher dort. Wir sammeln Steine, Muscheln und etwas Treibholz, dann treibt uns der kalte Wind wieder die Stufen hoch.

Dicht am Parkplatz liegt der „Village Shop“. Supermarkt, Postoffice, Bistro und Café, alles in einem Raum und ein Ein-Mann-Betrieb. An der Tür hängen ein paar Veranstaltungshinweise (Sport- und Kindergruppen etc.) und der Busfahrplan, es scheint das soziale Zentrum des Dorfes zu sein. Aus dem Fenster blickt man auf einen alten Wachturm aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, den Atlantik und die vorgelagerte Insel, die gelegentlich in den Regenschauern verschwindet. Der Wind legt zu und bläst hart über die Kante der Klippen und treibt die Schauer ins Land. Wir bestellen Kaffee und Sandwiches, genießen den Ausblick und freuen uns, den Kopf mal aus dem Wind zu haben. Auch dieser Platz ist eines der vielen „Finisterres“, einer der Punkte, an denen die Welt zu enden scheint.

Von Malin Beg aus fahren wir in nord-nordöstlicher Richtung weiter bis nach Glencolumbkille. Vor dem Zusammenbruch der Heringsfischerei war dies eine blühende Fischersiedlung, heute leben nur noch etwa 150 meist ältere Menschen hier. Um die arbeitslosen Fischer zu beschäftigen und den Tourismus als Einnahmequelle zu fördern, wurde vor einigen Jahren das „Folk Village“ aufgebaut. Ein kleines Museumsdorf mit Kirche, Schule und den hier damals - und zum Teil auch heute noch - typischen Fischer-, Bauern- und Handwerkercottages. Beim Besuch der Häuser wird spürbar, wie hart und ärmlich das Leben an dieser Küste gewesen ist. Insbesondere der Fischfang an dieser stürmischen, klippenreichen Küste forderte immer wieder das Leben einzelner und ganzer Schiffsbesatzungen.
 

Wir haben jetzt den Kopf voll mit neuen Eindrücken und Bildern. Es ist es Zeit etwas Warmes in den Magen zu bekommen und an den Rückweg zu denken. Wir fahren von Glencolumbkille aus die abenteuerliche R230 in Richtung Ardara. Die schmale Straße ist an einigen Stellen so eng, dass kaum zwei Fahrzeuge aneinander vorbei kommen. Sie führt über ein Hochplateau, überquert den Glen River und führt dann über den 270 Meter hoch gelegenen Glengesh Pass in engen Haarnadelkurven hinunter ins Tal des Glengesh Rivers. Auf der Passhöhe gibt es einen kleinen Parkplatz und der Ausblick soll spektakulär sein. Wir halten noch einmal an, aber nach dem vorangehenden Schauer liegt ein dichter Nebel über dem Tal, so dass wir nicht sehr weit sehen können. Dafür bricht kurz die Sonne durch, und wir sehen, wie sich die kleine Straße steil ins Tal windet.
 

Ardara soll eines der schönsten Dörfer Irlands sein. Wir parken in der Nähe des Marktplatzes, der Regen hat etwas nachgelassen und ist zu einem feinen Nieselregen geworden. Trotz der tiefhängenden Wolkendecke machte Ardara einen freundlichen Eindruck auf uns. Viele kleine Läden, einige kleine Hotels und mehrere B&Bs, alles sehr gepflegt. Schnell finden wir einen gemütlichen Pub mit guter Küche, ich bestell mir ein phantastisches Fishshouder mit frisch gebackenem Bauernbrot dazu, einfach lecker! Gut gesättigt aber etwas müde von der Tour brechen wir auf. Peter, unser Fahrer, muss uns jetzt noch etliche Kilometer in der Dunkelheit zurück zu unserem Cottage bei Belleek fahren. Aber dort warten ein gut vorbereiteter Kaminofen und eine gute Flasche Rotwein auf uns. 

 

Oktober 2018
Fotos: © H. Klein