"Berberkopf"

Málaga

Ich war müde von der Wärme und vom Laufen und hatte Durst. Zwischen Kathedrale und Alcazaba folgte ich der Neigung des Geländes dem Hafen zu, durchquerte den schmalen, schattigen Park mit den noch blühenden Bäumen zwischen dem stark befahrenen Paeseo del Parque und dem Paseo de los Curas und erreichte das innere Hafenbecken.
An der Muelle 1, der Hafenmole, die zum Leuchtturm am Ende der schmalen Landzunge zwischen dem Hafen und der Playa del la Malagueta führte, drängten sich moderne Motorboote und Segelyachten, dazwischen einige Traditionssegler als Gastlieger. Zwischen den glitzernden Geschäften der großen Mode-Lables, die man heute fast weltweit in jeder Großstadt findet, lagen auch ein paar kleine Bars auf der Pier in denen man ein gutes Glas Wein und ein paar Sandwiches bekam. Dann schlenderte ich weiter zum Leuchtturm, ging hinunter zum Strand und machte es mir auf meinem Handtuch bequem.

Mit einem Mal war sie da. Für einen Augenblick war ich in der Wärme des Nachmittags eingenickt und als ich, noch benommen von dem kurzen Schlaf, wieder aufblickte, saß sie ein paar Meter entfernt vor mir am Strand.
Ich sah nur ihren braunen geraden Rücken, das dunkle kräftig gelockte schulterlange Haar, eine junge Frau mit einer bunten Stofftasche auf einem kleinen Handtuch, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen. Sie trug eine Bikinihose, deren ausgeklappter, kleiner Waschzettel exakt die Position der Wirbelsäule markierte. Sie war schlank, aber nicht zierlich, und wirkte in ihrer aufrechten Körperhaltung autark und in sich ruhend. All diese Details nahm ich erst später wahr, aber schon beim ersten zufälligen Blick, fast noch im Halbschlaf, passierten zwei Dinge:

Erst das diffuse Gefühl die Frau zu kennen oder zumindest schon einmal gesehen zu haben, dann schoss mir blitzartig der Begriff „Berberkopf“ in den Sinn. Es dauerte einen Augenblick, bis ich den Begriff „Berberkopf“ mit einer Protagonistin aus dem Roman Allerseelen von Cees Nooteboom in Zusammenhang bringen konnte. Hin und wieder stand sie auf und ging die wenigen Schritte zum Wasser. Etwa knietief in der leichten Brandung stehend, ließ sie den Blick aufmerksam über die Bucht gleiten, vom östlichen Kap, wo sich hoch auftürmend die Wolken an den Bergrücken stauten, bis hin zur flachen Küste im Westen. Ich überlegte, ob sie wohl aus der Stadt käme, vielleicht eine Studentin die sich die Zeit zwischen den Vorlesungen am Strand vertreibt? Oder kam sie von einem der Kreuzfahrtschiffe, die zurzeit an der großen Pier an der äußeren Mole und im inneren Hafenbecken unterhalb der Alcazaba lagen?


Ich fragte mich, warum ich blitzartig die Verbindung dieser mir völlig fremden jungen Frau mit der Figur Berberkopf, die ich ja nie gesehen habe und die es in der Realität vielleicht auch überhaupt nicht gibt, hergestellt habe? Eine Frage, die mir in den nächsten Tagen immer wieder in den Sinn kam. Obwohl es schon Anfang November war, war es noch sehr warm und viele Strandbesucher nahmen noch ein Bad. Als ich später von meinem Buch aufsah, stand sie wieder im Wasser, benetzte ihren Körper und ließ sich dann ganz ins Wasser gleiten. Sie machte ein paar kräftige Züge ins tiefere Wasser, drehte sich dann auf den Rücken und schwamm zurück. Wieder im knietiefen Wasser richtete sie sich auf, verschränkte die Arme über dem Oberkörper und betrachtete mit konzentriertem Blick die Szenerie der Stadt hinter dem Strand, so als wollte sie sich dieses Bild fest einprägen. 
Ich wandte mich wieder meinem Buch zu und als ich nach einer Weile wieder aufsah war sie verschwunden. Die Sonne stand jetzt schon tief über den Häusern der Stadt und am Strand setzte eine allgemeine Aufbruchsstimmung ein. In einer knappen Stunde würden die Kreuzfahrer wieder auslaufen, Einheimische und Touristen machten sich auf den Weg in den Hafen oder zurück in die Stadt. Auch ich ging auf ein Glas Wein in eine kleine Bar an der Pier um das Auslaufen der Kreuzfahrer zu beobachten.


Auch Wochen nach meiner Rückkehr ging mir gelegentlich die Frage durch den Kopf, was diese spontane Assoziation zwischen der jungen Frau und der Romanfigur bewirkt hatte. Eines Tages nahm ich den Roman zur Hand und blätterte in den Seiten, irgendwo musste sich ja eine Beschreibung finden. Ich las hier und da ein paar Absätze oder auch einige Seiten, aber fand nichts was mich weiter brachte. Aber der Text nahm mich wieder gefangen und ich begann ich das ganze Buch, das in den Jahren davor schon zweimal gelesen hatte, ein weiteres Mal von vorn bis hinten zu lesen. Aber ich fand kaum Hinweise auf das Äußere der Figur Berberkopf, die meine spontane Assoziation hätten erkären können. Es waren mehr die Persönlichkeit, der Habitus, das selbsbewusste autarke Auftreten der Figur, die vermutlich diese Assoziation auslösten. Es war verwirrend und für mich nicht zu erklären.


Aber es passiert ja auch nicht jeden Tag, dass einem eine beim Lesen eines Romans imaginierte Person scheinbar in der Realität begegnet.

November 2013

Banner-Foto:
Der Hafen von Málaga von der Alcazaba aus gesehen.
Unterer Block:
Alcazabar 
Hafen von Malaga
Der Hafen von Málaga von der Alcazaba aus gesehen
Blick auf Malaga
Alle Fotos © H. Klein